Die Nachfrage nach Samenspenden steigt. Sinkende Fertilität, „Ehe für alle“ und die Legalisierung von Samenspenden für alleinstehende Frauen in einigen europäischen Ländern haben ein neue, wachsende „Kundschaft“ für Fertilitätskliniken geschaffen. Der Kinderwunsch ist in manchen Ländern ein riesiges Geschäft geworden, oft mit falschen Erwartungen, juristischen Fragwürdigkeiten, biologischen Risiken und ethischen Problemen. Einheitliche Regeln gibt es nicht einmal in Europa.
In einem sehr guten Artikel spricht die NZZ am Beispiel eines spektakulären Falls speziell die genetischen Risiken bei Samenspenden an, ob und wie man sie reduzieren kann und ob eine besser Qualitätsanalyse überhaupt ethisch vertretbar wäre.
Eine kurze Zusammenfassung
Die Genetikerin Edwige Kasper erfährt von der Kundin einer europäischen Samenbank, dass in ihrer Samenspende eine «Variante unklarer klinischer Bedeutung» gefunden wurde. Die Variante betrifft das TP53 Gen, das als Tumorsuppressorgen bekannt ist, also für ein Protein codiert, das die Entstehung von Tumoren unterdrückt. Kasper arbeitet an dem P53 genannten Protein und beginnt zu recherchieren. Sie findet heraus:
- die genannte TP53 Variante ist tatsächlich bisher als Risikofaktor unbekannt.
- Modellrechnungen zum Protein legen nahe, dass die Variante krebsauslösend sein könnte.
- Der Spender ist gesund und die vorgeschriebenen Tests des Spermas zeigten keine genetischen Risiken auf.
- Mit dem Sperma des Spenders wurden 67 Kinder gezeugt.
- Bei 23 der Kinder wurde die fehlerhafte Genvariante gefunden.
- Zehn von diesen Kindern sind bereits an Krebs erkrankt.
Was war schiefgegangen? Hätte das nicht verhindert werden können?
Ergebnisse der Recherche
Diese Befunde und weiter Untersuchungen zeigten, dass die „Variante unklarer klinischer Bedeutung“ eindeutig ein Krebsrisiko darstellt. Das wusste man bis dahin nicht – jetzt ist es eine neue Mutation in TP53, die eine klare klinische Bedeutung hat.
Aber warum ist das bei der Untersuchung des Spenders nicht aufgefallen und warum ist der Spender anscheinend gesund?
Bei Samenspendern werden einige Risikogene getestet, aber es wird nicht das ganze Genom sequenziert. Dagegen sprechen u.a. ethische Bedenken und die Möglichkeit, solche Daten für eugenische Auswahl zu nutzen (s.u.).
Selbst wenn man das Gesamtgenom des Spenders sequenziert hätte, wäre das fehlerhafte TP53 nicht aufgefallen denn der Spender ist eine „Keimbahn-Chimäre“.
Chimären
Mutationen passieren immer und überall. Man schätzt, dass der Mensch 100 bis 200 Mutationen im Leben ansammelt – vermutlich mehr. Die meisten dieser Mutationen sind unauffällig. Bei „schlimmen“ Mutationen sterben Zellen oft ab und fallen nicht weiter auf. Bei manchen Mutationen wachsen die Zellen unkontrolliert – es entsteht ein Tumor.
Tritt eine Mutation in einer Zelle auf, die sich vermehren kann, so tragen alle Abkömmlinge diese Mutation. Mutationen, die früh in der Embryonalentwicklung auftreten, haben mehr Zell-Abkömmlinge als solche, die später auftreten. Mutationen, die in einer Blutstammzelle auftreten, haben nur Auswirkungen auf Blutzellen, Mutationen in einer Muskelstammzelle haben nur Auswirkungen auf Muskelzellen. Wir sind also in vielen Fällen (vermutlich meistens) ein Mosaik aus mutierten und nicht mutierten Zellen.
Wenn in der Spermatogenese bei den Gonozyten oder den Spermatogonien (s. Abb. 1 ) eine Mutation auftritt, so sind alle Spermien davon betroffen, die von dieser mutierten Vorläuferzelle abstammen.

Von Ebricca, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23864683
Das ist offensichtlich bei dem Samenspender passiert: seine Körperzellen tragen die Mutation nicht, ein Teil seiner Spermien (weniger als 50%!) aber schon. Wir hatten über Chimären und Mosaike schon an anderer Stelle geschrieben und betont, dass Mosaike keine exotische Ausnahme, sondern eher die Regel sind.
Mutationen und Varianten
Ein kleiner Einschub: „Mutanten“ kennt man aus Si-Fi Filmen, sie sind dort oft gefährliche, mehr oder weniger hässliche Monster mit übermenschlichen Eigenschaften. „Varianten“ klingt harmloser und freundlicher.
Die etwa 20.000 Gene des Menschen gibt es bein den meisten viele verschiedenen Variationen. Die allermeisten davon erfüllen ihre biologischen Aufgaben mit geringfügigen Unterschieden, sie bestimmen Haar-, Augen- und Hautfarbe, Blutgruppe, Körperbau und tragen zu Verhalten, Intelligenz und vielen anderen Eigenschaften bei. Alle Varianten sind durch Mutationen entstanden, die in der menschlichen Bevölkerung oft regional stärker oder weniger stark verbreitet sind. Diese Varianten machen, neben den Umweltbedingungen, den größten Teil unserer Individualität aus.
Mutationen können neutral sein, negative oder positive Effekte haben. Umgangssprachlich werden sie oft mit Krankheiten oder Missbildungen in Verbindung gebracht – das ist aber meist nicht der Fall.
Kann man Risiko-Mutationen bei der Samenspende vermeiden?
Theoretisch ja, praktisch eher nicht und es wäre auch etwas fragwürdig.
Man könnte die DNA eines kleinen Teils einer Samenspende vollständig sequenzieren und alle Gene analysieren. Dabei würden alle bekannten Mutationen oder Varianten auffallen, die eine mehr oder weniger große klinische Bedeutung haben – auch solche, die nur in einem Teil der Spermien vorkommen. Der Aufwand dafür wäre recht hoch und teuer – aber durchaus realisierbar.
Aber was will man analysieren? Genetische Varianten geben eine Wahrscheinlichkeit dafür an, ob sich z.B. eine Krankheit manifestiert. Die kann z.B. bei 100%, bei 52%, bei 23% oder bei 4% liegen. Wollen wir Probleme mit 100%iger Sicherheit ausschließen, würde keine einzige Samenspende zugelassen denn Risiken stecken in jedem Genom.
Hinzu kommt: wir kennen viele, aber bei weitem nicht alle genetischen Varianten, die ein Risiko darstellen. Das zeigt auch die TP53-Mutation, die erst jetzt von Edwige Kasper entdeckt wurde und von „unklarer“ zu „eindeutiger“ klinischer Bedeutung hochgestuft wurde.
Ein weiteres Problem: würde ein Samenspender es zulassen, dass sein Genom vollständig durchleuchtet wird? Hat er ein Recht auf Nicht-Wissen? Spätestens wenn seine Samenspende abgelehnt wird, wird er sich Sorgen machen, welche Risikofaktoren da wohl in seinen Genen schlummern.
Und nicht zuletzt: wenn schon alle genetischen Informationen des Spenders vorliegen, warum sollte die Mutter dann nicht auch die Wahl zwischen positiven Eigenschaftenn haben? Das äußere Erscheinungsbild, gewisse Verhaltenseigenschaften und auch die Intelligenz werden (unter anderem) von genetischen Varianten mitbestimmt. Darf eine Mutter nicht die besten möglichen genetischen Konstellationen für ihr Kind auswählen?
Damit wären wir bei einer Eugenik, die gewiss keine gute Perspektive ist. Denn, abgesehen von gesellschaftlichen Fragen, was heute als optimal gilt, ist es morgen vielleicht nicht mehr. Die Menscheit hat bis heute überlebt, weil sie eine große genetische Variabilität hat und sich ziemlich schnell an neue Umweltbedingungen anpassen kann.
Falsche Erwartungen
Die Auswahl eines Samenspenders erweckt falsche Erwartungen. Ein Kind entsteht aus der Kombination väterlicher und mütterlicher Gene. Ein körperlich und geistig super-fitter Spender zeugt nicht unbedingt ein Kind mit ähnlichen Eigenschaften. Nicht nur die einzelnen Varianten leisten dazu einen Beitrag, auch ihre Kombination.
Das lässt sich vereinfacht mit einem (etwas veränderten) Pokerblatt darstellen: selbst wenn beide Eltern eine sehr gute Kartenkombination haben, kann das Kind eine deutlich schlechtere oder, für eine bestimmte Eigenschaft sogar negative Kombination bekommen.

(aus praktischen Gründen enthält eine Hand hier sechs statt fünf Karten).
Beide Eltern (oben) haben mit einem Flush (Straße in einer Farbe) eine sehr gute Hand. Die Kinder erhalten von beiden Eltern je drei Karten und haben beide eine deutlich schlechtere Hand: links sind es drei Paare, rechts eine (gemischte) Straße. Mit Pik 7, 8, 9 und Herz 10, Bube, Dame könnte die Hand sogar noch schlechter sein. „Gute Genkombinationen“ der Eltern führen nicht unbedingt zu „guten Genkombinationen“ der Kinder.
Abbildung: © BioWissKomm
Persönliche Einschätzung
Künstliche Befruchtung mit einer Samenspenden wurde beim Menschen erstmals 1838 erfolgreich durchgeführt, um einen Kinderwunsch zu erfüllen. Die Nachfrage steigt rasant an – ebenso die Ansprüche an die „Qualität“ der Spender. Mit den Fortschritten der DNA Sequenzierung sind sehr weitreichende Analysen der Spender und der Spende möglich geworden. Wie weit diese Möglichkeiten genutzt werden sollten, ist eine andere Frage. Schwere Krankheiten zu vermeiden ist zweifellos ein gutes Ziel – aber Risiken werden immer bleiben und sie bestehen auch bei einer natürlichen Befruchtung. Kinder nach Plan bzw. nach Genom zu konstruieren ist keine gute Idee. Die Natur, inklusive des Menschen (!) lebt durch genetische Vielfalt, die ein großes Spektrum an Anpassungsmöglichkeiten auf unvorhersehbare Situationen erlaubt. Andererseits sollte Müttern eine (gewisse) Auswahl der Samenspender erlaubt werden – die treffen sie schließlich auch bei der Partnerwahl. Dabei dürfen jedoch keine großen Erwartungen geweckt werden: die genetische Konstellation eines Kindes bleibt dem Zufall überlassen und das ist auch gut so.
Autor:
Wolfgang Nellen, BioWissKomm
Titelbild:
© BioWissKomm