Phantombilder aus DNA-Analyse?

Die kanadische Polizei hat kürzlich ein „Phantombild“ aufgrund von DNA Spuren an einem Tatort erstellt und damit nach dem mutmaßlichen Täter gesucht (https://www.edmontonpolice.ca/News/MediaReleases/DNAPhenotypeOct4?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter). Aufgrund von genetischen Analysen versucht man mit der „Phänotypisierung“ das Aussehen einer Person zu rekonstruieren. Einige Merkmale (z.B. Augenfarbe, Haarfarbe, Pigmentierung) kann man damit recht gut erfassen, andere (z.B. Körpergewicht, Alterung) sind sehr stark von den Lebensbedingungen abhängig und kaum bestimmbar. Das Vorgehen der Polizei und die Methodik an sich lösten lebhafte Diskussionen aus (https://www.spektrum.de/news/verbrechen-ethische-bedenken-an-dna-datenbank-forensik/1896274, https://1e9.community/t/die-kanadische-polizei-nutzte-ein-fahndungsfoto-das-aus-dna-generiert-wurde/18092). Das Bild wurde inzwischen gelöscht weil es Proteste gab, dass es zu Vorverurteilungen führen könnte.

Was kann eine DNA-Analyse?
Die Phänotypisierung beruht im Prinzip auf einem erweiterten „genetischen Fingerabdruck“. Die ursprünglich von Alec Jeffries entwickelte Methode lieferte tatsächlich nur einen sehr einfachen Strich-Code. Damit konnten Verwandschaftsverhältniss geklärt werden und im direkten Vergleich konnte festgestellt werden, ob zwei Proben von der selben Person stammen. Eine Aussagen über körperliche Eigenschaften eines Individuums oder den Phänotyp (das Aussehen) waren nicht möglich.
Mit den heutigen Methoden kann man jedoch mühelos mehr als 1 Mio Orte auf der DNA vergleichen und bei Bedarf das ganze Genom sequenzieren. Daraus können zunehmend mit gewisser Wahrscheinlichkeit (!) sowohl phänotypische Merkmale als auch die ethnographische Herkunft abgeleitet werden. Wie aussagekräftig die daraus erstellten Phantombilder sein können, ist unklar und Ansichtssache. Das Erscheinungsbild wird einerseits von der Genetik, andererseits von der Umwelt (Lebensbedingungen) geprägt, bestimmte Merkmale wird man jedoch ableiten können. Absolut zuverlässig ist eine solche Phänotypisierung keinesfalls. Das gilt jedoch erst recht für Phantombilder, die aus Zeugenaussagen erstellt werden und bewusst oder unbewusst durch die Person des Zeugen subjektiv geprägt sind.

Es wird immer wieder übersehen, dass genetische Marker kein Identifizierungsverfahren, sondern eher ein Ausschlussverfahren sind: wenn eine Tatortspur nicht mit der eines Verdächtigen übereinstimmt, ist der raus. Stimmt sie überein, ist der Verdächtige mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, nicht aber mit Sicherheit, der Täter. Es wird gerne vergessen, dass gerade in den frühen Zeiten des genetischen Fingerabdrucks mehr unschuldig Verurteilte aus dem Knast gekommen, als Schuldige in den Knast gegangen sind! Das wird auch für die Phänotypisierung gelten: man erhält Anhaltspunkte zu Merkmalen wie Haar- und Augenfarbe, Gesichtsform, Pigmentierung usw. Damit kann man unter Umständen ausschließen, dass ein Täter schwarze Haare oder blaue Augen hatte. Ein exaktes Foto wird man keinesfalls erstellen können – und das muss klar vermittelt werden!

Welche Merkmale darf man für eine Fahndung verwenden?
In Deutschland ist die Nutzung von Markern zur Phänotypisierung und zur ethnographischen Herkunft weitgehend verboten. Zu groß ist die Angst vor rassistischen Vorwürfen. Nur neutrale genetische Marker, die keine Aussage zum Aussehen erlauben, dürfen verwendet werden. Diese können nur zu einem Ergebnis führen, wenn es einen „Treffer“ in der Datenbank gibt oder die DNA mit der eines Verdächtigen übereinstimmt. Eher verlässt man sich auf dubiose Zeugenaussagen (der Täter hatte ein „europäisches“ oder ein „südländisches“ Aussehen – was auch immer das bedeutet). Oder man nutzt sachdienliche Hinweise wie „der Täter trug eine schwarze Hose“.

Kann man den „gläsernen Menschen“ verhindern?
Ob das Verbot und der strenge Datenschutz in Deutschland tatsächlich den „gläsernen Menschen“ verhindern, ist sehr fraglich. Bereits in Holland gelten andere Regeln. Dort können genetische Daten verwendet werden, die Rückschlüsse auf den ethnischen Ursprung (im Sinne genetischer Abstammung) erlauben – mit einer gewissen Zuverlässigkeit. Die lässt sich prozentual angeben und entsprechend bewerten. Welche Datenbanken und Verfahren in manchen anderen Ländern eingesetzt werden, möchte man gar nicht wissen! Das Potenzial ist so groß, dass im Endeffekt kaum eine Regierung oder ein Geheimdienst darauf verzichten wird – mehr oder weniger offen oder geheim.

Global wird sich die Nutzung solcher Daten kaum verhindern lassen. Was wir tun können, ist möglichst transparent offenzulegen und vor allem zu erklären, welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können und welche nicht. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit wird oft missverstanden und kann zu Vorverurteilung führen – da besteht großer Aufklärungsbedarf. In den meisten Ländern können forensische DNA Analysen bei einer Verurteilung unterstützend wirken, nicht jedoch als alleiniges Indiz.
Ob man bei Schwerkriminalität darauf verzichten und zunächst alle Besitzer einer schwarzen Hose unter Verdacht stellen sollte?

Beispiele

Die beiden folgenden Beispiele sind konstruiert, sie sollen nur verdeutlichen, welche Aussagekraft Wahrscheinlichkeiten haben oder haben können.

Beispiel 1
Eine Tatortspur zeigt die Blutgruppe 0+ an.
Verdächtigt werden ein Israeli und ein Isländer. Die Tabelle zeigt an, dass diese Blutgruppe in verschiedenen Ethnien unterschiedlich häufig vorkommt: 32% der israelischen und 47,6% der isländischen Bevölkerung haben die Blutgruppe 0+.
Die jeweiligen Anteile der Blutgruppe 0+ sind eindeutig verschieden. Daraus wird man aber schwerlich sagen können, dass der Isländer wahrscheinlich der Täter ist.

Beispiel 2
Eine Tatortspur hat den Genotyp M/M
Verdächtigt werden ein Eskimo* (83,5% der Eskimos haben den Genotyp M/M) und ein australischer Aborigine (2,4% der Aborigines haben den Genotyp M/M).
Der Aborigine ist damit nicht völlig raus und der Eskimo ist nicht unbedingt der Täter. Ich würde den Eskimo aber schon für stärker verdächtig halten und nicht primär den Aborigine in U-Haft nehmen.

1 Kommentar

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Wolfgang
3. Dezember 2022 um 13:20

Ein Forensiker aus einem LKA hat freundlicherweise einen Fehler in dem Artikel korrigiert: seit dem 12.12.2019 ist es auch in Deutschland erlaubt, die Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie das Alter zu untersuchen. Die biogeographische Herkunft jedoch nicht.
Ich möchte ergänzen: das sind Hinweise, die in bestimmten Fällen hilfreich sein können, für z.B. eine Rasterfahndung aber nicht ausreichend und zu unpräzise sind. Man bedenke auch, dass Haarfarbe, Augenfarbe und selbst die Gesichtsform relativ einfach veränderbar sind. Eine schwarze Hose allerdings auch.