Trofim Denissowitsch Lysenko

Heute, 29.9. vor 124 Jahren wurde Trofim Denissowitsch Lysenko geboren, kein gerader Geburtstag, aber trotzdem ein Datum, das man nicht vergessen sollte – auch wenn es nichts zu feiern gibt!

Als Stalin in den 1920er bis 1930er Jahren Lysenkos Theorien praktisch als Staatsdoktrin zur „Modernisierung der sowjetischen Landwirtschaft“ durchsetzte, folgten daraus mehr als 7 Millionen Hungertote. Weil sowjetische Verbündete, vor allem auch China, in den 1950er Jahren das Konzept übernahmen, schätzen manche Historiker weitere 30 Millionen Hungertote. Es wird vermutet, dass kein andere einzelner Wissenschaftler so viel Tod und Leid über die Menschheit gebracht hat wie Lysenko.

Wie konnte es dazu kommen?
Lysenko propagierte, dass die Kältebehandlung (Vernalisierung) von Saatgut den Ertrag um einen Faktor vier verbessert. Seine experimentellen Daten waren vermutlich gefälscht, sie passten aber gut in das kommunistische Weltbild, nachdem die Genetik (wenn überhaupt) nur eine untergeordnete Rolle spielt und die Umwelt (praktisch die „Erziehung“ des Saatguts) einzig entscheidend ist. Dazu gehörte auch, dass sich Weizen durch entsprechende Umweltbedingungen in Roggen umwandeln lässt. Gene wurden als unsozialistisch und Verirrung des westlichen Kapitalismus betrachtet.

Die unheilige Allianz zwischen Pseudo-Wissenschaft und Ideologie.
Lysenko stieg steil in der Hierarchie auf und wurde Direktor der „Lenin Akademie für landwirtschaftliche Forschung“. Seine wissenschaftlichen Kritiker, hauptsächlich Vertreter der mendel’schen Vererbungslehre, verloren ihre Stellungen und wanderten in den Gulag.
Lysenkos Theorien knüpften an Lamarcks „Vererbung erworbener Eigenschaften“ an.

Die Umsetzung von Lysenkos Ideen führte zu katastrophalen Missernten, die jedoch als westliche Sabotage abgetan wurden. Der Einfluss von Lysenko, warf die Genetik-Forschung und, unmittelbar schmerzhaft, die Entwicklung der Landwirtschaft in der Sowjetunion um Jahrzehnte zurück. Erst nach der Ära Chruschtschow wurde langsam umgesteuert und sehr mühsam ein Neuanfang gestartet.

Wissenschaft steht nie still.
Ohne es zu ahnen, enthielt Lysenkos ideologisch gesteuerte „Wissenschaft“ ein winziges Körnchen Wahrheit. Die Epigenetik zeigte viel später, dass die Umwelt tatsächlich einen gewissen Einfluss auf die Genetik nehmen kann, dabei allerdings die Modifikation von Genen (die vom damaligen Kommunismus abgelehnt wurden) bewirkt. Eine nachhaltige „Umerziehung“ von Saatgut nach Lysenkos Vorstellungen bleibt jedoch unmöglich.

Fazit:
Wenn Wissenschaft ideologisch instrumentalisiert und zusätzlich verfälscht oder gefälscht wird, kann sie unsägliches Leid hervorrufen. Lysenko ist gewiss nicht das einzige Beispiel, aber er gehört zu den dramatischsten. In den meisten Fällen greifen früher oder später (manchmal leider später) die eigenen Kontrollmechanismen der Forschung, um Fehler zu korrigieren. Wenn Ideologien hinzukommen, die den wissenschaftlichen Diskurs unterdrücken, verzögert sich die Aufklärung.
Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, solche Fehler zu benennen und zu korrigieren. Es ist aber auch eine Aufgabe der Gesellschaft, ein offenes Auge zu haben, Wissenschaft zu hinterfragen und gute und schlechte Wissenschaft unterscheiden zu lernen.