Svante Pääbo und der Neandertaler – nutzlose Forschung?

Svante Pääbo wurde in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. Er erhielt die Ehrung für seine Arbeiten an „alter DNA“, für die Etablierung des neuen Forschungszweigs „Paläogenetik“ und für seine bahnbrechenden Beiträge zum Verständnis der menschlichen Evolution.

Welchen Nutzen hat diese Forschung? Pääbo selbst sagt, dass es zuerst ein „verrücktes Hobby“ war. Zur medizinischen Relevanz sagt er, dass einige Überbleibsel der Neandertaler DNA in unserem Genom eine größere Anfälligkeit für eine Infektion mit Sars-CoV 2 bewirken, andere eine bessere Resistenz. Eine medizinische Strategie kann man daraus nicht ableiten, obwohl die medizinische Bedeutung immer wieder betont wird.

Also völlig nutzloses Zeugs?
Ja, wenn man ureigene menschliche Eigenschaften außer Acht lässt: die Neugier und die eher philosophische Frage, woher wir kommen.
Entsprechend hat Pääbos Forschung in der Öffentlichkeit auch Aufmerksamkeit erreicht. Darwins Behauptung „Der Mensch stammt vom Affen ab!“ hat große Empörung hervorgerufen (so hat er das nie gemeint  – es wurde aber gerne so fehlinterpretiert). Pääbos Ergebnisse, dass sich Europäer und Asiaten mit den Neandertalern und den Denisova-Menschen gekreuzt haben, wurde gelassener, aber doch mit einem gewissen Zähneknirschen hingenommen. Es war schon eine gewisse Demütigung, dass wir, nicht aber die Afrikaner, uns mit dem „primitiven“ Urmenschen mit der niedrigen Stirn eingelassen hatten!

Daraus ergab sich eine überraschende Erkenntnis: der „Baum des Lebens“ verläuft nicht unbedingt gradlinig mit einer Aufspaltung in einzelne, getrennte Äste. Die Äste (z.B. Neandertaler und der moderne Mensch) können sehr wohl wieder miteinander verwachsen und Gene/Eigenschaften austauschen. Und das gilt gewiss nicht nur für den Menschen!

By Katerina Douka & Michelle O’Reilly, Michael D. Petraglia – " On the origin of modern humans: Asian perspectives", Science 08 Dec 2017: Vol. 358, Issue 6368, DOI: 10.1126/science.aai9067 [1], CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=71689358

Pääbos Forschung unterstützte die „Out-of-Africa“ Hypothese, dass die Wiege der Menschheit in Afrika liegt. Und er lieferte wichtige Beiträge zu den Wanderungsbewegungen des Menschen, die schließlich zu einer Besiedlung des ganzen Planeten führte. Dazu gehören u.a. Rückwanderungen nach Afrika und mehrere Auswanderungsereignisse aus Afrika. Nur so konnten sich Abkömmlinge verschiedener Auswanderungswellen in Europa und Asien begegnen.

Evolution des FOXP2 Gens, dessen “modern” Variante nach der Abspaltung von den anderen Primaten, aber vor der Aufspaltung in Denisova-Menschen, Neandertaler und modern Menschen entstand. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S096098221831546X

„Nebenprodukte“ seiner Arbeit lieferten u.a. Hinweise auf das „Sprachgen“ FOXP2, bei dem eine winzige Veränderung dramatische Einflüsse auf die Sprachfähigkeit hatte. Wie die DNA Sequenzierung zeigte, hatten Neandertaler bereits die moderne FOXP2-Variante und damit auch die Sprachfähigkeit. Damit wurde die frühere Annahme, dass Neandertaler nicht sprechen konnten, revidiert.

Großartige medizinische Anwendungen sind aus diesen Arbeiten (bisher) nicht entstanden. Sind sie deshalb „nutzloses Zeug“ bei dem ein Wissenschaftler mit viel Geld seinem Hobby gefrönt hat? Ich glaube nicht. Die fundamentalen Fragen unserer Herkunft sind für viele sehr wichtig, wenn nicht gar wichtiger als die Lösung aktueller Probleme.

Merke:
Grundlagenforschung wird nicht zielgerichtet auf eine Anwendung betrieben. Ob die Paläogenetik doch noch einen praktischen Nutzen, z.B. für die individualisierte Medizin bringt, ist nicht abzusehen. Oft dauert es Jahrzehnte, bis scheinbar nutzlose Erkenntnisse ihren Weg in die Anwendung finden.
Dass Menschen Erkenntnisse über ihren Ursprung haben möchten, ist eine fundamentale Eigenschaft, die an sich bereits einen Wert darstellt.